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Jürgen Wilbert über: „Mohr and More – Ausgewählte Hinterschaffenslasten“, erschienen im Heureka! Verlag der Ostwestfalen-Akademie, Borgentreich, 2. Auflage 2019. Mit einem Vorwort von Prof. Kurt Guss.
Der Autor Rolf Mohr ist Diplom-Psychologe mit den Schwerpunkten in Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie. Nach zahlreichen Fachpublikationen veröffentlicht er in diesem Band zum ersten Mal eine Auswahl von Aphorismen, die laut Klappentext „Liebeserklärungen an die Sprache“ darstellen. Mohrs Aphorismen sind diesen Themenfeldern zugeordnet: Mensch und Mitmensch / Sprache und Wissenschaft / Irrtum, Irrweg und Krieg / Glaube und Zukunft. Weitere Kapitel beziehen sich auf die eher wortspielerischen und kalauernden Kurztexte: u.a. „Mohrs Fug und Unfug“ und „Mohrs Bosheiten“. Im Folgenden beschäftige ich mich vorzugsweise mit dem aphoristischen Kernstück (auf den Seiten 20 bis 51).
Die Stilmittel des aphoristischen Schreibens werden von Mohr versiert eingesetzt: so z.B. der Chiasmus in „Trauschein macht scheintreu“ und „Volk rechtlos? Recht folgenlos!“, ferner die Kontradiktion in „Das Bleibende in aller Schönheit ist ihre Vergänglichkeit.“ Als Variante von Redensarten überzeugen diese Texte: „Der Stein der Weisen ist der des Anstoßes.“ / „Lügen haben lange Beine – sie holen dich ein!“ / „Unter den Blinden gibt es keinen Einäugigen.“ Weitere Kennzeichen sind Übertreibung, Zuspitzung und Überraschung, wie in n Beispielen: „Nie ist morgen!“ / „Leben ist tödlich.“ / „Seine Bestialität unterscheidet den Menschen vom Tier.“ In manchen Fällen sind die Aphorismen zu konstruiert und daher berechenbar: u.a. „Die auf dem Weg nach oben sollen schwindelfrei sein; sind sie´s nicht, sollen sie stürzen.“ Oder allzu bibelgetreu: „Wer gibt dem wird gegeben.“ Die Profession und langjährige Berufserfahrung des Autors kommt naturgemäß in vielen seiner Texte zum zwischenmenschlichen Umgang gewinnbringend zum Ausdruck: „Wer´s Sagen hat, soll´s Fragen lernen.“ Und: „Selbstbewusstsein und Stil befreien (im Text auf S. 26 heißt es „befreit“) von Moden.“ Einige seiner Aphorismen kommen bisweilen zu moralisch-belehrend daher, vor allem wenn sie Sollensansprüche formulieren, wie etwa der Text auf S. 25 „Statt nach geeigneten Worten zu suchen, empfiehlt sich, die passende Haltung einzunehmen – dann kommen ehrliche, überzeugende Worte.“
Mohr ist ein intensiver Sprachbeobachter, und seine besten Aphorismen finden sich unter der Rubrik „Sprache und Wissenschaft“. So lesen wir dort solche denk-würdigen, prägnanten Sätze: „Irren ist wissenschaftlich.“ / „Lehren ist die Intensivstation der Lernens.“ / „Wenn Sprache nicht mitwächst, verstummt das Denken.“ Ganz im Goetheschen Sinne ist diese Sentenz zu verstehen: „Wer umfassend begriffen hat, kann einfach darstellen.“ Auch Mohr kann als Aphoristiker nicht der Versuchung widerstehen, die Gattung selbst aphoristisch-metaphorisch zu definieren, er nennt den Aphorismus „die Karikaturvariante der Literatur.“
In einigen Fällen ist die Neigung zum hemmungslosen Wortspiel / Wortwitz mit ihm durchgegangen: etwa in diesen Wortneuschöpfungen bzw. –varianten: „Jenachdemiker“ – „Ist Demokratisierung Mediokrisierung“ –„Nach Zeiten der Orientierung wird´s Zeit zur Okzidentierung!“ Was den Untertitel des Buches betrifft: „Ausgewählte Hinterschaffenslasten“, so mag ich da nicht – wie Prof. Kurt Guss in seinem Vorwort – in sein Loblied mit einstimmen. Diese Wortschöpfung mag zwar originell sein, kommt mir dann aber doch zu konstruiert vor. Da gefallen mir diese vieldeutigen Einwortsätze bzw. Wortneuschöpfungen schon besser: „Womanagement“ / „Mein Arzt hat mich medizynisch aufgeklärt.“ / „Beziehungswaise“ / „Offizierde“ / „AuslandSaufenthalt“. Alles in allem ist das Buch ein Springbrunnen übersprudelnder Formulierungsfreude und vorzugsweise im 1. Kapitel eine Fundgrube aphoristischer Formulierungskunst. Dabei ist die gesamte Bandbreite von reinem, vordergründigem Wortwitz (vor allem in den Kapiteln „Mohr Fug und Unfug“ und „Mohrs Bosheiten“) bis zu philosophisch-satirischem Hintersinn abgedeckt. Der Ansicht von Prof. Kurt Guss, die er in seinen Vorbemerkungen auf S. 16 äußert, kann ich mich nur anschließen: Rolf Mohr bietet sämtliche Varianten einer „großen literarischen Kleinkunst“. „Meine Favoriten sind aber die aphoristischen Verdichtungen“. Mit zwei meines Erachtens besonders gelungenen Textbeispielen möchte ich meine Kurzbesprechung abschließen: „Wenn Gesetze nicht Menschen achten, achten Menschen nicht Gesetze.“ Und schlussendlich eine bedenkenswerte Frage (S. 38) an uns alle: „Ist es Stehvermögen, wenn jemand im Zug der Zeit einfach sitzen bleibt?“
Jürgen Wilbert, 5. Juni 2020
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