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Michael Wollmann über:
Hans Norbert Janowski: Fallobst. Aphorismen, Sprüche, Sentenzen V. Düsseldorf: edition virgines 2024.
Der Theologe und Publizist Hans Norbert Janowski (*1938) präsentiert uns dieser Tage seinen fünften, nummerierten Aphorismenband „Fallobst“. Den ersten Aphorismenband legte er bereits im Jahr 1988 mit „Das Wichtigste in Kürze“ vor. Grafisch unterstützt wird er diesmal von Nicole Janowski-Meyer, die passend zur Thematik einige sinnfällige farbige Kreidezeichnungen beigesteuert hat.
Im kurzen, dreiseitigen Vorwort gibt Janowski Aufschluss darüber, wie er sein „Fallobst“ verstanden wissen will: Das reale vom Baum oder Strauch fallende Fallobst sei einerseits verderblich. Doch in dessen Verfall zeige sich „eine Noblesse, die seit je die Phantasie angeregt und zu bildnerischem, gesanglichem und kulinarischem Genuss gereizt hat“ (S. 8). Der Aphorismus sei – im übertragenen Sinn – einem Wurm ähnlich, der durch den Stich ins Fruchtfleisch die Substanz einer Frucht verwandeln und zur hinfälligen „Nature morte“ mache (S. 9). Er könne daher als „das Andere, die literarische Kehrseite eines realen Gegenstandes oder Tatbestandes gelesen und begriffen werden“ (S. 9). Überhaupt mache er wie das Fallobst eine Gestaltänderung durch, die den Perspektivwechsel ermögliche: „Fallobst in Form von straffen Pointen kann auch die Frucht von Erkenntnissen sein, die sich, wie in diesem Fall, einstellen, wenn der Blick von der Seite, von hinten oder unten, ja von innen auf die Phänomene des Alltags fällt“ (S. 10).
Inhaltlich sind die rund 400 Aphorismen wie schon im Vorgängerband recht zwanglos 45 alphabetisch geordneten Schlagworten von „ästhetisch“ bis „zynisch“ zugeteilt. Die Bandbreite der abgehandelten Themen ist dabei umfangreich: Es werden sowohl tagesaktuelle Themen wie der Israel/Gaza-Krieg („Alternative Fakten verdoppeln die Wirklichkeit wie ein Gaza-Tunnel.“ [S. 31]) und der Ukraine-Krieg („Nichts ist so wahr wie die Lüge, eine Essenz aus Putins Giftschrank.“ [S. 31]), oder – damit zusammenhängend – die deutsche Innenpolitik verhandelt („Börsentipp: Kaufe grüne Anteilscheine und Panzeraktien – nachhaltig sind beide.“ [S. 63]). Auch Kommentare zur (mittlerweile fast schon überholten) Corona-Thematik sind im Buch zu entdecken: „Querdenker meinen, dass die Anderen sich impfen lassen, um sie anzustecken.“ (S. 45); „Covid: das Maß der Nähe ist die Distanz.“ (S. 105). Allgemein Kulturkritisches wird ebenfalls zur Sprache gebracht: „Wer kein IPhone [sic!] hat, hört auch das Gras nicht wachsen.“ (S. 13). Nicht immer trifft Janowski mit seinen tagesaktuellen Bemerkungen ins Schwarze, doch dass er es wagt, sich bei teilweise hochbrisanten politischen Fragen der Gegenwart aphoristisch aus der Deckung zu wagen, ist lobend hervorzuheben.
Abgesehen von den eher ernsten, politischen Aphorismen hat Janowski ein Gespür für sinnreiche ironische Einfälle, wenn er beispielsweise mit „Der Floh im Ohr hört als erster die Flöhe husten.“ (S. 34) eine äußerst witzige Verbindung der beiden Redensarten „einen Floh im Ohr haben“ (bzw. „jemandem einen Floh ins Ohr setzen“) und „die Flöhe husten hören“ herstellt. Überhaupt scheint bei Janowski immer wieder ein Talent für subtile Bemerkungen durch, die fernab von abgedroschenen Wortspielen der allgegenwärtigen Trivialaphoristik einen gedanklichen Gehalt erkennen lassen: „Im Verhältnis zum Falschen ist das Richtige besser dran als das Wahre.“ (S. 86) oder den ernstgemeinten aphoristischen Ratschlag „Behüte den Schmerz des Abschieds, sonst spürst du das Glück der Ankunft nicht!“ (S. 92).
Erstaunlich wenig präsent ist der theologische Hintergrund des Autors, auch wenn dieser in einzelnen Aphorismen wie „Der Apfel in der Hand: „Warum wollte der Schöpfer das Geheimnis der Kultur nicht lüften?“ (S. 12) oder „Der Mann aus Nazareth: seine Ohnmacht war so groß, dass sie die Welt veränderte.“ (S. 34) immer wieder durchscheint.
Hingegen ist der Realitätssinn des Autors, der sich oft sinnreich mit einem filigranen ästhetischen Gespür verbindet, sicherlich ein Markenzeichen von Janowskis Aphoristik, in der sich punktuell seine ganze Stärke zeigt. In bestimmten Themenfeldern kann er gute, auch philosophisch fundierte Anstöße geben, wenn er beispielsweise mit den Aphorismen „Das Böse ist eine Dimension der Freiheit.“ (S. 81), „Freiheit – das höchste Gut und die teuflischste Versuchung.“ und „Womit müssen wir den Luxus der Freiheit bezahlen?“ (S. 83) das allgemeine, (theologisch-)dialektische Problem der Freiheit aphoristisch umreißt.
Dass Janowski mit manchen anderen, eher abgedroschenen Aphorismen wie „Man hört nie auf anzufangen.“ (S. 53) oder „Je höher der Aufstieg, desto dünner die Luft.“ (S. 64) nicht immer ganz die Höhe seines Stils zu erreichen vermag, ist angesichts des Füllhorns an unverdorbenen „Fallobst“-Gedanken sicherlich zu verzeihen.
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