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Hans Norbert Janowski über:
Gottfried Pixner: Notizen eines Terranauten. Aphorismen. Leipzig Engelsdorfer 2024.

 

„Glauben wir an die Menschen, zumindest solange sie sich als solche erweisen.“ (S. 78) – „Abstrahieren bedeutet, die den Dingen innewohnende Magie zu vernachlässigen“. (S. 47). – „Konkurrenten klären uns ungewollt über eigene Mängel auf.“ (S. 60) Ein paar schöne Aphorismen von etwa tausend, die auf den hundertzehn prallvollen Seiten die Leser*innen erfreuen und irritieren. Der heiter-bissige Wiener Schriftsteller Gottfried Pixner liebt die farbige Fülle des Konkreten und wendet sich öfter mit leichtem Abscheu von der Blässe des Abstrakten ab. Ein Beispiel: „Die Tugenden, bleiben bleiche Abstrakta im Vergleich zur barocken Körperlichkeit der Laster.“ (S. 78)

Die Leidenschaft für die Berührbarkeit der Dinge und für das Leibliche der Sprache hat freilich auch ihre Tücken: „Auch Männer verfügen über zwei Alter – das selbstbetrügerisch gefühlte und das (verschämt) zugegebene.“ (S. 59) Blumige Metaphorik macht noch keinen Aphorismus. Wenn man seine Aussagen mit Adjektiven dekoriert, mindert man die Wirkung der Worte. Wie wäre es, in diesem Fall auf die adverbiell gebrauchten Adjektive zu verzichten? Dann könnte sich die Leserin das zu Sagende mit Genuss selber denken. Und Selbstdenken ist bei dieser Kurzprosa ja das eigentliche Vergnügen. Oder: „Mit zeremoniellem Gehabe lässt sich Unbedarften jede platte Dreistigkeit zum einzigartigen, ‚wertbeständigen Kunstwerk‘ hochjubeln.“ (S. 34) Pixner schwelgt im Überfluss, aber am Überfluss ist manches auch überflüssig: „Wir leben – wie die Tiere – mit dem Vermögen, unser Leben zu meistern; doch der uns geschenkte Überschuss an Anpassungs- und Problemlösungs-Fähigkeiten verbraucht sich zur Entflechtung der im rauschhaften Überschwang geschaffenen Sonderprobleme.“ (S.74) Mehrere Drehungen an der Problematik – wird das den Aphorismus nicht überfordern?

Eine, vielleicht doppeldeutige Direktheit bekommt dieser Kurzform les- und vernehmbar besser. Und Pixner macht davon auch oft genug Gebrauch: „Der Klügere gibt nach – der Dumme gibt zu.“ (S. 96) Oder: „Sektierer überholen die Amtskirche auf den Pannenstreifen.“ (S. 71) – „Wer tief denkt und danach die Ergebnisse sichtet, befindet sich im Reich ironischer Unwägbarkeiten.“ (S. 95) – Da kriegt man auch rasch die Pointe mit.

Mäßigen Spaß hingegen machen die vielfachen Selbstreflexionen des Aphoristikers: „Aphorismen: Weltgericht in kürzester Form.“ (S. 97) – „Ein Blattschuss-Bonmot lähmte des Aphoristikers zähen Widerpart.“ (S. 73) – „Aphoristiker: Wortakupunkteure.“ (S. 16) etc.

Um klar pointierte Aphorismen und Sentenzen ist Gottfried Pixner freilich nicht verlegen: „Bosheit ist die Immunabwehr der Gemaßregelten.“ (S. 107) – „Gutes wird besser, wenn es gleich erledigt wird.“ (S. 106) – „Wir dulden die Fehler der Mitmenschen nur solange, als sie uns nicht zum Nachteil gereichen.“ (S. 76) – „Der Opportunist kennt keine Ziele, nur einträgliche Schleichwege.“ (S. 14) – und schließlich: „Wer Kinder zeugt, hat den Kampf für eine bessere Welt noch nicht aufgegeben.“ (S. 96).

Auf diesen dichten Seiten zeigt sich, welch unerschöpfliches Material die Phänomenologie und Moral des menschlichen Lebens bietet. Aber die straffen Aussagen der Aphorismen brauchen so etwas wie einen Hof: Dem Verlag wäre bei einer zweiten Auflage zu raten, den dichten Wald der Sätze so zu lichten, dass Lichtungen zum Verweilen entstehen; sonst könnten die Leser in Atemnot geraten. Die Notizen dieses umtriebigen Terrranauten verdienen es, mit Weile gelesen zu werden.

 

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