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Jürgen Wilbert über:
Eberhard Blanke: Aphorismen. Norderstedt: Books on demand 2020.
Der Theologe und Kommunikationsmanager Eberhard Blanke (geb. 1961) war bis zu seiner Pensionierung in einer Pfarrei in Hildesheim tätig und legt hier seinen ersten Aphorismenband vor. Er nennt seine Texte im Klappentext „Aphorismen, Sinnsprüche und Bonmots.“ Im Anhang setzt er sich in einem Essay mit der Gattung auseinander, zum Teil aphoristisch; wörtlich heißt es dort: „Die sinnigste Anpreisung des Aphorismus ist selbstredend aphoristisch.“ (139) Als Beleg führt er einige aphoristische Definitionen auf, u. a. von Kraus, Adorno und Lec. Vom Letztgenannten zitiert er (aus dessen „Unfrisierten Gedanken“): „Er war das Gewissen einer Zeit, die keins hatte.“ Für Blanke stellt der Aphorismus „das erweiterte Apophthegma dar: „Weder nur gelehrig noch nur ästhetisch oder moralisch, weder bloß religiös noch bloß politisch begreift er das Universum in sich konzentriert.“ (139) Ausgehend von der griechischen Definition („genau bestimmen, abgrenzen“) entwickelt er Kriterien eines „fähigen Aphorismus“. Dazu zählt er den pointierten Widerspruch, den Witz und das Grenzüberschreitende, ja Zügellose: „Der Aphorismus testet, prüft, untersucht, fragt ab, pocht auf begrenzte Grenzenlosigkeit.“ (142) Im Folgenden möchte ich im Durchgang durch 130 Seiten mit jeweils 6 oder 7 Kurztexten der Frage nachgehen, inwieweit Blankes Aphorismen seinen eigenen Kriterien genügen.
In der Tat ist ein breites Spektrum der aphoristischen Stilmittel im Band vertreten; so finden wir beispielsweise die paradoxe Pointe: „Ich komme am besten mit mir selbst nicht zurecht.“ (12) Oder die verblüffende, in sich widersprüchliche Naturmetapher: „Das stumme Gewitter des beredten Schweigens zwischen zwei Menschen.“ (10) An anderer Stelle heißt es: „Den zerknirschten Schnee hinter sich lassen.“ (135) Es überwiegen deutlich die kurzen Einzelsätze wie: „Glaube ist Herdensache.“ (13) Oder gar als Halbsatz: „Wie ein deplatzierter Kuss.“ (138) Viele Texte erschließen sich aus der langjährigen Erfahrung als Theologe und Kommunikator, so zum Beispiel auch diese Hoffnung spendenden Sentenzen: „Dem gewissen Sterben gelassen entgegen schlendern.“ (136); „Gott – die außerweltliche Opposition.“ (55) Wir stoßen auch auf gleichermaßen originelle wie passende Wortneuschöpfungen, zum Beispiel „Anonymokratie: die durch Aktiengesellschaften begründete Herrschaft.“ (119) Und an anderer Stelle: „Der eine zerfleischt sich. Der andere zerseelt.“ (47)
Vereinzelt finden wir bei Blanke die bei Aphoristikern beliebte „Wer…, der…“-Satzstruktur: „Wer in der ersten Seite sitzt, hat einen begrenzten Horizont.“ (131) Besonders gehäuft auf den S. 64 und 65: „Wer langsamer geht, kommt nicht so schnell ans falsche Ziel.“ Sprachspielerisch unterwegs, gelangt der Autor zu so mancher Abwandlung von geläufigen Redensarten und Sprichwörtern: „Mut zur Krücke.“ (62) Und seine Behauptung „Aus Schreibfehlern lassen sich Aphorismen stanzen“ (60) lässt sich durchaus belegen, etwas im Kalauer: „ Droste-Hülshoff. Koste Schwülstoff.“ (83) Oder „Kopulation bringt Population.“ (11) Bisweilen kommen die Sinnsprüche oder Bonmots doch etwas zu kalkulierbar bzw. naheliegend daher: „Profil zeigt sich heute in den Reifen.“ (53)
Der Zusammenstellung von immerhin rund 800 Aphorismen bzw. Sinnsprüchen hätte im Interesse der Leserin / des Lesers eine thematische oder andersgeartete Strukturierung gut getan. So wäre auch ein eigenes Kapitel für die eher wortwitzigen Sätze denkbar. Dadurch ließe sich eine derart krasse Nachbarschaft von Texten auf S. 8 und 9 vermeiden; hier finden wir diese eher platte und wenig appetitliche Sprichwortvariation „Morgenstund´ hat Geruch im Mund“ neben so tiefsinnigen Aphorismen wie: „Auf unerträglichen Frieden folgt Krieg.“ – und: „Das Leben ist auch bloß Sterben.“ Diese Fallhöhe in der Qualität der Texte ist im durchgängig festzustellen, so auch auf S. 68: Unter der denkwürdigen Feststellung „Heutzutage sterben Menschen, die früher nie gelebt hätten“ liest man „Mir ist übel sprach das Übel.“ Zu naheliegend scheint mir auch diese Aussage: „Wer einen Sumpf trocken legen will, benutze Gummistiefel.“ (68) Bei der Fülle von eigenen, schlagartig aufeinander folgenden Denkanstößen dürfte die folgende Bemerkung möglicherweise auch selbstkritisch gemeint sein: „Viele Worte aneinandergereiht sind wie ein Lattenzaun, durch den hindurch die Zuhörer [Anmerkung: Muss es nicht Zuschauer heißen?] den verborgenen Garten des Redners erspähen können.“ (100)
Vorherrschendes Prinzip im Band ist zweifellos die „Stellung des Aphorismus zum Problem des Widerspruchs“, wie der Autor in seinem Essay (141) ausführt. Den eigenen Anspruch als Aphoristiker umschreibt Blanke so: „Sich aphoristisch zur Realität zu verhalten meint nichts anderes, als die Verwerfungen, Risse und Knicke derselben als Normalität zu nehmen und in Perlensätzen auszusprechen.“ (144) Und solche „Perlensätze“ findet man in Blankes Aphorismen-Band reichlich, und allein deshalb lohnt sich die Lektüre. Zu meinen Favoriten zählen diese drei ganz kurzen, aber vielsagenden Kurztexte oder – laut eigener Definition auch – „minimalen Maximen“ (81):
„Geld fühlt nicht.“ ( 11)
„Feindbilder haben viele Freunde.“ (21)
„Glaube ist Herdensache.“ (13)
JWD (10.2.2023)
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