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Marie von Ebner-Eschenbach

14 Aphorismen aus schwer zugänglichen Publikationen des 19. Jahrhunderts

Ein Fundstück von Michael Wollmann

 

Marie von Ebner-Eschenbach

Freifrau Marie von Ebner-Eschenbach, Öl auf Leinwand, 1873. Bildquelle: Wikipedia

Im Jahr 2024 ist im Bellaprint-Verlag die von Bernd-Christoph Kämper und mir herausgegebene kritische Ausgabe zu Ebner-Eschenbachs „Aphorismen“ unter dem Titel „Ein guter Leser – Ein halber Dichter“ erschienen. Die Ausgabe ist die bislang vollständigste ihrer Art, aber längst noch nicht abgeschlossen. Unsere Arbeiten wurden unter anderem dadurch erheblich erschwert, dass zu den „Aphorismen“ der Freifrau bislang keine vollständige Bibliographie der in vereinzelten Zeitungen und Zeitschriften abgedruckten Aphorismen existiert. So mussten Karl Konrad Polheim und Norbert Gabriel in ihrer Einleitung zum bibliographischen Band „Kritische Texte und Deutungen / Marie von Ebner-Eschenbach“ (Erster Ergänzungsband. Eine Bibliographie; Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999) bereits bekennen:

„Der Primärliteratur-Teil unter „In vita“ verzeichnet als Werke (A I 1) alle nachweisbar gedruckten Dramen, Erzählungen, Sachtexte, Feuilletons und Sammelbände, nicht jedoch einzelne Aphorismen, Gedichte, Märchen und Parabeln; die genaue Textgeschichte dieser Kleinformen erfordert umfangreiche Detailforschungen, die den Rahmen unserer Bibliographie gesprengt hätten.“ (S. 8)

Freundlicherweise hatte mir Dr. Ulrike Leuschner bereits nach Veröffentlichung der Print-on-Demand-Ausgabe „Gesammelte Aphorismen“ (Lulu 2023) eine exklusive Bibliographie zu Ebner-Eschenbachs Aphorismen bereitgestellt, die zwar auch nicht alle Quellen zu den aphoristischen Veröffentlichungen enthält, aber ursprünglich für die historisch-kritische Ausgabe von Ebner-Eschenbachs Aphorismen vorgesehen war, die ja leider bis heute nicht erschienen ist (und wohl auch in absehbarer Zeit unveröffentlicht bleiben wird).
Es war mir bislang leider nicht möglich, diese Bibliographie vollumfänglich auszuwerten, da die Quellen teilweise schwer zu beschaffen sind und längst auch nicht alles davon digitalisiert wurde. In ebendieser Bibliographie sind also weitere entlegene Publikationen zu finden, in denen teilweise Aphorismen von Marie von Ebner-Eschenbach zu ihren Lebzeiten veröffentlicht wurden.

Jugendportrait Marie von Dubský

Jugendporträt von Marie von Dubský, spätere von Ebner-Eschenbach, um 1845. Bildquelle: Wikipedia

So sind beispielsweise in der „Illustrirten Frauenzeitung“ (Aphorismen. Von Marie von Ebner-Eschenbach. Berlin: Franz Lipperheide, Jg. 16 (1889), Nr. 33, S. 139) neben einigen altbekannten Aphorismen – die hier erstmalig abgedruckt wurden –, abweichende Varianten zu finden, z. B.: „Kein Todter ist besser begraben, als eine erloschene Leidenschaft.“ (vgl. mit der späteren Version aus der 3. vermehrte Auflage der „Aphorismen“ von 1890: „Kein Todter ist so gut begraben wie eine erloschene Leidenschaft.“). Besonders interessant ist in dieser Publikation natürlich der folgende, exklusive Aphorismus:

Sich auf die Richtigkeit seiner Impulse verlassen dürfen, das ist Glück, das giebt einen festen Halt. (Nr. 9).

Auch im darauffolgenden Jahrgang der „Illustrirten Frauenzeitung“ (Aphorismen. Von Marie von Ebner-Eschenbach. Berlin: Franz Lipperheide. Jg. 17 (1890), Nr. 4, S. 31) wurden gleich vier Aphorismen von Ebner-Eschenbach abgedruckt, die später keine Verwendung mehr fanden:

So viele Sprachen, so viele Spiegel des menschlichen Geistes. (Nr. 1)

Wenn der Dilettant sagt: Jetzt bin ich mit der Arbeit fertig, sagt der Künstler: Jetzt fängt die Arbeit an. (Nr. 2)

Duldsamkeit ist eine active Tugend. (Nr. 3)

Sage mir welche Meinung Du von den Frauen hast, und ich sage Dir, mit welchen Frauen Du umgehst. (Nr. 4)

In Bertha von Suttners Anthologie „Frühlingszeit. Eine Lenzes- und Lebensgabe, unsern erwachsenen Töchtern zur Unterhaltung und Erhebung gewidmet von den deutschen Dichterinnen der Gegenwart“ (Stuttgart 1896, S. 61f.) wurden 17 Aphorismen von Ebner-Eschenbach abgedruckt. Neben zwei Erstdrucken lassen sich hier sogar sieben exklusive Aphorismen der Dichterin nachweisen:

Willst du das Gegenteil von edel kennen? Ich glaube es heißt: praktisch. (Nr. 2)

Zwei, höchstens drei Menschen braucht man im Leben, alle anderen sind entweder Schmuck – oder Last. (Nr. 6)

Wenn die Lächerlichkeit gar zu groß wird, wird sie tragisch. (Nr. 10)

Das wonnigste Gefühl auf Erden ist das Gefühl des Könnens. (Nr. 13)

Sich abäschern, heißt noch nicht fleißig sein. (Nr. 14)

Unter allem Falschen das Falscheste ist falsche Bescheidenheit. (Nr. 16)

Eine mit viel Eifer und wenig Talent ausgeübte Kunst ist der Tod alles Edlen in uns. (Nr. 17)

Des Weiteren lassen sich in „Altes und Neues aus dem Pegnesischen Blumenorden“ (Bd. 3 (1897), S. 251) neben sechs Erstdrucken zwei exklusive Aphorismen von Ebner-Eschenbach eruieren:

Wenn der Himmel einen Menschen schafft, schafft die Erde ein Grab. (Nr. 2)

„Verzeih‘ die kleine Mühe!“ Man soll die Mühe, die man einem Andern macht, nie klein finden. (Nr. 3)

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Nr. 2 bereits im Jahr 1896 als angebliches japanisches Sprichwort bei Emil und Margarethe Selenka in „Sonnige Welten. Ostasiatische Reise-Skizzen“ auftaucht. Es stellt sich also die Frage, ob die Dichterin sich für den Beitrag in „Altes und Neues aus dem Pegnesischen Blumenorden“ etwa aus diesem Buch bedient hatte, oder die Selenkas den Aphorismus von Ebner-Eschenbach bereits vorher kannten, nur um ihn dann – merkwürdigerweise – als japanisches Sprichwort (?) zu zitieren?

Es bleibt zu hoffen, dass alle diese Funde (neben vielen weiteren) in einer abermals ergänzten kritischen Ausgabe der Aphorismen von Ebner-Eschenbach eines Tages Verwendung finden werden und sich auch die offenen Fragen durch weitere intensive Recherchen vollumfänglich klären lassen.

 

 

 

 

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