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Michael Wollmann über:
Franz Hodjak: Das Glas gibt dem Wein die gewünschte Form. Aphorismen, Königshausen & Neumann 2023
Bereits im letzten Jahr hat der rumäniendeutsche Romancier, Dramatiker und Lyriker Franz Hodjak (*1944) seinen vierten Aphorismenband „Das Glas gibt dem Wein die gewünschte Form“ vorgelegt. Dieser enthält 850 Aphorismen, die allesamt ab dem Jahr 2017 zu Papier gebracht wurden.
Der Autor selbst versteht Aphorismen – wohl durchaus politisch – als „Randbemerkungen zur Mitte“ (S. 70). Thematisch präsentiert er in seinem neuen Band sowohl moralistische Maximen, als auch abstrakte philosophische Überlegungen sowie kulturkritische Diagnosen unterschiedlichster Art, wie Alexander Eilers in seinem kundigen Nachwort zur Sammlung richtig anmerkt. Ein nicht unerheblicher Teil der Sammlung ist zudem mit biographischen Hinweisen zum Autor durchsetzt, die Hodjaks Selbstbild als satyrhaftem Lebemann und Eigenbrötler gerecht werden sollen („BETRUNKEN vor Glück war ich nie. Umso öfter aber war ich glücklich, wenn ich betrunken war.“ [S. 17]; „ICH habe das Leben als etwas begriffen, das man nicht schonen, sondern leben soll.“ [S. 30]; „BRÖTCHEN, die Eigenbrötler backen, sind eben keine Massenware.“ [S. 37]; „ICH habe meine Trinkgewohnheiten umgestellt. Die Weinflasche steht jetzt rechts vom Computer.“ [S. 52]; „ICH habe nie großen Wert darauf gelegt, so zu leben, dass ich gesund sterbe.“ [S. 62]; „APHORISTIKER sind Leute, die den Kopf auf beiden Schultern haben und den Schalk im Nacken.“ [S. 109]). Stilistisch greift er dabei in den meisten Fällen auf das altbewährte aphoristische Stilmittel des (oft chiastisch gebrauchten) Paradoxons zurück, um Überraschungseffekte zu generieren.
Die Aphorismen selbst werden dem Leser im Buch ungeordnet dargeboten. Es gibt also keine Einteilung in Kapitel und es ist auch keine innere thematische oder logische Ordnung erkennbar, die dem geneigten Leser den Zugang zur Sammlung irgendwie erleichtern würde. Verlagsseitig wurden die Aphorismen mittig gesetzt und durch Sterne (*) voneinander abgetrennt. Zusätzlich hat sich der Verlag wohl aus ästhetischen Gründen dazu entschlossen, konsequent jedes erste Wort eines neuen Aphorismus in GROSSBUCHSTABEN zu setzen, wodurch nicht selten Worte wie „DIE“, „DER“ oder „EIN“ rein zufällig eine Betonung erfahren, die vom eigentlichen Gehalt eines Aphorismus eher wegführen, als ihm zu dienen. Da wäre es schon deutlich sinnvoller gewesen, bei Bedarf die Worte zu markieren, mit denen der Autor tatsächlich spielt, wie es in der Gedankensplitteraphoristik des 19. Jahrhunderts („Fliegende Blätter“) noch sinnigerweise erfolgt ist.
Qualitativ können innerhalb der Sammlung immer wieder einzelne ideenreich-pointierte Aphorismen überzeugen: „GLEICHBERECHTIGUNG ist dann erreicht, wenn ein unfähiger Mann von einer unfähigen Frau abgelöst werden kann.“ (S. 11); „IN vollen Kirchen ist der Anteil der Gläubigen kleiner als in halbvollen.“ (S. 17); „FRAUEN kaufen ihren Männern erst Blumen, wenn diese tot sind.“ (S. 20); „NICHT wenn alle sie kennen, sondern erst wenn alle sie zu spüren bekommen, setzt sich die Wahrheit durch.“ (S. 26); „WISSEN ist Macht, Desinformation ist Bewahren der Macht.“ (S. 29); „SCHLIMM ist es um ein Land bestellt, über das man nur lachen kann; aber noch schlimmer um ein Land, in dem einem das Lachen vergeht.“ (S. 48); „DIE Dummheit besteht darin, dass man das, was man nicht weiß, nicht für sich behält.“ (S. 60); „GLÜCK lockt Zuschauer an, Unglück Gaffer.“ (S. 71).
Teilweise tritt uns bereits hier ein etwas antiquiertes, patriarchal geprägtes Frauenbild entgegen, das an anderen Stellen noch deutlicher wird: „EINE Soldatin bedeutet immer einen Krieger zu viel und eine Frau zu wenig.“ (S. 42); „HINTER jedem Glück steckt eine Frau, und hinter jedem Unglück steckt eine andere Frau.“ (S. 98); „DIE Frau ist der Wind, der Mann das Windrad.“ (S. 106).
Die Sammlung ist auch nicht frei von abgedroschenen Sätzen wie „HUMOR ist der Knopf, der verhindert, dass der Kragen platzt.“ (S. 38; dies wird in fast identischer Form bereits seit den 1970er-Jahren Joachim Ringelnatz zugeschrieben!). Der vermeintliche Nestroy-Satz „Wenn alle Stricke reißen – häng ich mich auf.“ klingt bei Hodjak witzlos-entkernt: „WENN alle Stricke reißen, bleibt nur noch der Trost, dass es auch nicht mehr möglich ist, sich aufzuhängen.“ (S. 12). Und Slavoj Žižeks Satz „Tanzen ist masturbieren in aller Öffentlichkeit.“ lautet bei Hodjak etwas zurückhaltender: „TANZEN ist der vertikale Ausdruck horizontaler Gelüste.“ (S. 32).
Dazu gesellen sich immer wieder auch dem Wortspiel verhaftete Plattitüden und Albernheiten wie „VOR Langeweile kann man verzweifeln, aber nicht sich langweilen vor Verzweiflung.“ (S. 14); „NICHT alles, was glitzert, glänzt.“ (S. 39); „WAHRHEITEN mit Heiligenschein sind Scheinwahrheiten.“ (S. 45); „FÜR Luftschlösser braucht man keine Baugenehmigung.“ (S. 81) oder „FÜR die, die unter der Brücke wohnen, ist jeder Tag ein Brückentag.“ (S. 93).
Glücklicherweise überrascht der rumäniendeutsche Autor immer wieder auch mit gegenwartsbezogenen, biographisch zu verstehenden Einschüben: „WENN schon ein Heimatministerium, dann auch ein Ministerium für Heimatlose!“ (S. 26), oder auch mit harten ironischen Spitzen: „MOSLEMS mögen im Allgemeinen das Schachspiel nicht, weil die Dame unverschleiert ist und sich frei bewegen kann.“ (S. 40).
Insgesamt leidet die umfangreiche Sammlung an Hodjaks übermäßigem Gebrauch von Paradoxien, die sich mit der Zeit dann doch etwas abnutzen und den Leser tendenziell eher langweilen, als ihn noch zu überraschen.
Wie wäre nun also idealerweise mit Hodjaks neuestem Aphorismenband umzugehen? Sicherlich ist es angeraten, das Weinglas in möglichst kleinen Schlucken zu leeren, um es genießen zu können. Dadurch wird sich dann auch – um mit Heidegger zu sprechen – „das Fassende in sein Freigewordenes“ versammeln können und der Wein kann im Leser seine Wirkung zeitigen, ohne einen folgenschweren Kater am Morgen danach zu verursachen.
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