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Jürgen Wilbert über:
Gerald Krieghofer: Die besten falschesten Zitate aller Zeiten. Wien: Molden Verlag 2023.
Hier möchte ich zur Abwechslung mal kein neues Aphorismenbuch vorstellen und besprechen, sondern ein Buch, das sich mit Zitaten / Aphorismen befasst und aufdeckt, welche fälschlicherweise bestimmten Autoren oder Berühmtheiten zugeschrieben werden. Der „Zitateforscher“ Gerald Krieghofer hat sich laut Klappentext „auf die Spur der beliebtesten Fake-Zitate gemacht“ und dabei viele „populäre Sprüche enttarnt“. Der Autor, Jahrgang 1953, ist Philosoph und Literaturwissen-schaftler; er gilt auch als Karl-Kraus-Experte. Seit etwa zehn Jahren betreibt er einen Blog, in dem er falsche Zitate und sogenannte Kuckuckszitate nachweist (falschzitate.blogspot.com). Gerade für Autoren / Autorinnen der kurzen Texte dürfte dieser Blog / dieses Buch von Interesse sein, denn bisweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man geradezu von falschen Sprüchen / Aphorismen überflutet wird. Das neue, von ihm geprägte Wort „Kuckuckszitate“ definiert er wie folgt: „(Es) ist ein geflügeltes Wort, das einer berühmten Person in ihr Nest gelegt, also fälschlicherweise zugeschrieben wird.“ (S. 12)
Dem Buch vorangestellt ist eine kurze Geschichte des falschen Zitierens; sie trägt den Titel „Von Kuckuckszitaten und dem Glück der Parömiologie“. Als Beschleuniger für die „epidemische Verbreitung“ falscher oder halbwahrer Zitate bezeichnet er das Internet und die Social-Media-Kanäle. Ursprünglich hat Krieghofer nur falsche Aphorismen aufgespürt und gesammelt, die mit dem Satiriker Karl Kraus in Verbindung stehen. In der Einleitung wird anhand von fünf Zitaten (u.ba. von Kant, Goethe und Konfuzius), die dem Brief einer Schuldirektorin an den Abiturjahrgang entnommen sind, aufgezeigt, dass nur eines davon korrekt ist, nämlich das von Goethe: Es ist nicht genug zu wissen – man muss es auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen – man muss es auch tun.
Kuckuckszitate können übrigens absichtlich oder irrtümlich entstanden sein. Versehentliche Zuschreibungen ergeben sich u.ba. durch „Vereinnahmung“, das bedeutet nach Krieghofer: Zitate wenig bekannter Personen oder anonyme Sprüche werden Berühmtheiten untergeschoben, witzige Sprüche vor allem Oscar Wilde, Mark Twain oder Kurt Tucholsky. (19) Im folgenden Textteil des Buches findet sich dann beispielhaft dieses Zitat: Der Tod eines einzelnen Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik. Dieses Notat ist nach Krieghofer gleich vier berühmten und berüchtigten Personen zugeschrieben worden: Tucholsky, Remarque, Stalin und Eichmann; dabei wurde es 1924 erstmals als Teil eines Dialogs in der Pariser Tageszeitung „Paris-Soir“ veröffentlicht. Die anderen, vermeintlichen Urheber haben den denkwürdigen Satz später lediglich aufgegriffen und teilweise in abgewandelter Form zitiert, Tucholsky zuerst als Übersetzer des französischen Originals.
Es ist spannend nachzulesen, welches Zitierschicksal einigen Aphorismen widerfahren ist. So stammt der mehrfach Karl Kraus zugesprochene Aphorismus Was trifft, trifft auch zu – tatsächlich von Elazar Benyoetz (aus dem 1977 erschienen Band Worthaltung).
Als ein weiteres Textbeispiel führt Krieghofer das folgende Zitat auf: Neue Wege entstehen, indem wir sie gehen. Obwohl es immer wieder Nietzsche oder Kafka untergeschoben wurde, ergab die Recherche, dass es ursprünglich vom spanischen Autor Antonio Machado (1875-1939) stammt, und zwar als Zeilen aus dem Gedicht mit der Nummer XXIX: Wanderer, es gibt keinen Weg, / der Weg entsteht im Gehen.
Der bei Politikern so beliebte Ausspruch „Was wir heute tun, entscheidet darüber, wie die Welt morgen aussieht“ stammt nachgewiesenermaßen nicht von Marie von Ebner-Eschenbach, sondern vom russischen Schriftsteller Boris Pasternak. Der Aphorismus ist Teil eines Interviews aus „This Week“. Als Ursprung für die fälschliche Zuschreibung nennt Krieghofer die Eintragung in einem immerwährenden Kalender, der 1994 (als Lizenzausgabe bei Weltbild) immerhin eine Auflage von 190 000 Stück hatte. Am Ende eines jeden Kapitels schließt der Autor richtige Zitate des jeweiligen Autors / der Autorin an, so zum Beispiel unter der Überschrift „Marie von Ebner-Eschenbach zitieren, aber richtig“: Eine Frau hat Millionen geborener Feinde: – alle dummen Männer.
Selbst so populäre Zitate wie von Helmut Schmidt (Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.), von Fußballern wie Andreas Möller (Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien.) oder auch von Pop-Musikern wie John Lennon (Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.) sind vor dem Zitatenjäger Krieghofer nicht sicher. Auch hier hat er die richtigen Urheber herausgefunden.
Das Buch stellt insgesamt eine gelungene und zudem auch noch amüsante Spurensuche dar, was die wahre Herkunft von Zitaten (Sprüchen und Aphorismen) betrifft. Am Ende des Buches geht der Autor in geraffter Form noch auf falsche Zitate auf Grabsteinen und Todesanzeigen ein (159 – 165). Hier ist er besonders fündig geworden. Den Abschluss bilden die „TOP 10 der beliebtesten angeblichen Zitate“ (S. 167 – 173). Dazu zählt auch der weitverbreitete Slogan der Friedensbewegung: Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. Dieser Satz kam ab Mitte der 1970er Jahre auch in Deutschland auf und wurde irrtümlicherweise Bertolt Brecht zugeschrieben; dabei geht das Zitat zurück auf einen Vers von Carl Sandburg (aus dem Jahr 1936): Sometime they´ll give a war and nobody will come.
Dem Zitateforscher und –jäger Gerald Krieghofer ist zu danken für seine intensive Spurensuche – und zu wünschen, dass er noch viele Kuckuckszitate entlarven kann. Material dazu gibt es wahrlich in Hülle und Fülle. Denn eine falsche Zitierung zieht erfahrungsgemäß weitere Irrtümer bzw. Verfälschungen nach sich. Wir vom Deutschen Aphorismus-Archiv (www.dapha.de) wissen ein Lied davon zu singen.
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