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Hans Norbert Janowski über:
Michael Rumpf: Sandpapier. Aphorismen. Heidelberg: Manutius 2023.
„Wer vom Glück Sinn erwartet, begeht einen Kategorienfehler.“ (25). Wie wahr: das Existential ist mit der Vernunft nicht zu erfassen. Der Pfälzer Schriftsteller Michael Rumpf, der sich auf verschiedenen Feldern erprobt hat, literarisch wie essayistisch sowie als Übersetzer, deutet mit einem anderen Satz an, auf welcher Ebene das Glück begegnet: „Dass das Wichtige nicht unmittelbar angestrebt werden kann, sondern als Nebenwirkung empfangen wird, weist auf das Glück als Gnade.“ (41) Hier spricht ein religiöser Humanist, mit sensibler Schärfe und Erfahrungswissen, und setzt dem Begehren des Verstandes noch eins drauf: „Lieber im unerklärlichen Glück leben als im erklärbaren Unglück.“ (45)
Angezogen vom lebensdeutenden Fluss seiner Pointen zeigt die Lektüre einen doppelten Hintergrund: einen aufgeklärt konservativen Moralismus und eine christlich gefärbte Religiosität. Mit dem kritischen Sandpapier seiner Aphorismen reibt sich Rumpf an der opportunistischen Anspruchs- und Konsummoral seiner Zeitgenossen: „Emanzipationsbewegungen steigern die Ansprüche. In der gerechten Welt wird der Ressourcenverbrauch sein Maximum erreichen.“ (11) Oder: „Steigt das Verständnis für Bedürfnisse, sinkt das für Werte, und Bedürfnis wird zum Wert.“ (38) Denn: „Vorlieben prägen das Verhalten inniger als Grundsätze.“ (43) Hinzu kommt: „Wir wählen unser moralisches Engagement nach seinem Prestigegewinn.“ (40)
Es ist dem Kritiker aber deutlich: „Würde Kritik die Welt verbessern, hätten die Menschen den Weg zurück ins Paradies bereits gefunden.“ (29) Schließlich muss der scharfsichtige Analytiker auch Kritik an der Freiheits-Ethik üben: „Kein Ideal verbraucht mehr Welt wie das der Freiheit.“ – „Ethik ist“ eben – so das abgeschattet paulinische Fazit (vgl. Römer 7) – „Reflex der Endlichkeit“.
Die religiöse Dimension des Denkens spielt sich immer wieder ein: „Die Wege der Weisheit führen im Osten wie im Westen durch Gefilde des Verzichts und der Entsagung. Das Weltliche muss zurückgelassen werden, um zum Wesentlichen zu gelangen.“ (41) Diese Enthaltsamkeit vom Wirklichen hat wohl auch den Erfahrungshintergrund: „Der Glaube an Gott fällt in den Metropolen schwer. Leicht fällt er in der Wüste.“ (31) Da ist er ja auch entstanden und hat die menschliche Bedürftigkeit erfahren. Dem entspricht die Einsicht: „Religion gibt im Trost zugleich Tiefe: Im Trost werden Sphären berührt, die der Freude unzugänglich sind.“ (45)
Aber: „War christliche Leibverneinung, psychoanalytisch gesprochen, eine Identifikation mit dem Aggressor?“ (20) Und drängt sich in dieser geistigen Zone nicht eine handfeste Kritik an der Moralisierung des Glaubens auf? „Eine Religion, die glaubt, in ihrer Moral überleben zu können, verfällt dem Irrtum zu meinen, eine Fassade sei bewohnbar.“ (32)
Bemerkenswert die Kritik an einer aufgeklärten Vernunftreligion: „Eine vernünftige Religion wäre ritualfrei, also wirkungslos.“ (52) Denn: wie steht es mit dem Ritual? „Litanei: Wiederholung? Nein, Vollzug.“ (69) – eine Sentenz, die ein Licht auch auf Rumpfs ästhetische Bemerkungen lenkt: „Relativität bedeutet das Ende des Tragischen. Sein Kern ist der Konflikt zwischen absoluten Werten.“ (66) Diese klassische Gewissheit bezieht Rumpf auch auf andere Grundelemente von Kunst und Literatur: „Das Unerhörte, einst von der Novelle gefordert, setzt ein Normengefüge voraus, an dem es gemessen werden kann. In Zeiten der Beliebigkeit fehlt beides:“ (18)
Aber dem Aphoristiker ist klar: Der pluralistische Relativismus lässt nur noch eine Klage, aber keine Anklage mehr zu. Und was wird gegen den Verlust getan? „Da wir unseren Kindern keine Mythen weitergeben können, müssen wir ihnen Erlebnisse verschaffen.“ (24) Der resignierte Zug solcher Sentenzen zeigt die Weite und die Grenzen einer pädagogischen Existenz auf.
Die Begrenzungen werden überschritten durch listige und sensible Beobachtungen aus dem Alltag, die einen Scharfsinn fürs Konkrete verraten: „Wer überall gewesen ist, wird nirgendwo vermisst werden. (12) – „Die Exzessivität unserer Meinungen hängt mit ihrer Folgenlosigkeit zusammen.“ (30) – „Etwas zu kaufen, stiftet das Gefühl, am Leben teilzunehmen.“ (36) – „Kann man Hoffnungen säen, ohne Ansprüche zu ernten?“ (29) – „Entwicklung wird nur noch als Steigerung wahrgenommen, nicht aber als Verwandlung.“ (54) – „Zufriedenheit resultiert aus der Übereinstimmung zwischen Kontostand und Bedürfnisspiegel.“ (47) Last but not least die fatale Erfahrung: „Altern: ein Insolvenzverfahren.“ (50)
Michael Rumpf hat eine umfangreiche, aber dichte Sammlung von hauptsächlich philosophischen, ethischen und literarischen Aphorismen geschrieben, die sich seinem aphoristischen Werk aufs Beste anschließen. Der aufgeklärte Humanismus und die geschliffene Schärfe zeigen eher die Form einer weisheitlichen Sentenz als die polemische Struktur von Widerspruch, Ironie oder gar Zynismus. Politische Reflexionen wie diese: „Globalisierung ‚zwei Punkt eins‘: Wir haben den Nationalstaat überwunden. Nunmehr bilden die Krisen ein weltweites Netz.“ (43) sind selten. Ein Anflug von Skepsis durchzieht die Seiten: „Wenn die Vernunft gesiegt haben wird, wird sich ihr Triumph als glorreicher Pyrrhussieg erweisen.“ (33) Dem aber hält Michael Rumpf eine Lebenserfahrung entgegen, der er offenbar stärker vertraut: „Nicht edle Gedanken rechtfertigen das Menschsein, sondern selige Momente.“ (45). In diesem Spannungsbogen gewinnt ein Denken Kontur, das sich getrost der Kürze des Aphorismus anvertrauen darf und die Beschäftigung mit dieser konzentrierten Kunstform auffrischt.
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