zurück zur Übersicht der Rezensionen

 

Klaus Hansen über:
Alexander Eilers: Hungerrationen. Aphorismen. Nebst diversen Freundesgaben. Mit einem Vorwort von Michael Rumpf. Würzburg: Königshausen und Neumann 2022.

 

Du hast keinen Eßvorrat mit“, sagte er.
„Ich brauche keinen“, sagte ich,
„die Reise ist so lang, daß ich verhungern muß,
wenn ich auf dem Weg nichts bekomme.“
aus: Franz Kafka, Der Aufbruch. Parabel, 1922

 

216 Ein-Sätze im Einsatz. Genialische Kürze: „Finden stört beim Suchen.“ (S. 36) Gelegentlich ist ein Nebensatz nötig, fast schon Prasserei: „Existierte Gott, wäre Glaube Blasphemie.“ (S. 56) Brillant! Einen zweiten Satz gibt es nirgends. Eilers wäre es wohl am liebsten, man käme mit nur einem Wort aus. Einmal versucht er es. „Abenteuerfriedhof.“ Heißt ein Aphorismus auf S. 37. Die Freiheit, sich einen Reim darauf zu machen, liegt beim Leser. Eine Hilfestellung findet sich auf Seite 56: „Zuletzt sterben die Friedhöfe.“

Papierfetzen, die Rückseite von Einkaufszetteln, Zeitungsränder, das sind beliebte Medien von Aphorismen. Aphorismen fliegen einem häufig zu, Gedankenblitze, die festgehalten sein wollen. Aus Verzettelungen dieser Art entstehen gelegentlich gediegene Blütenlesen, mitunter sogar mit einem Themenschwerpunkt. Dies geschieht allerdings diszipliniert am Schreibtisch, nicht beim Schälen von Knoblauchzehen oder unter der Dusche. Alexander Eilers‘ achter Aphorismen-Band kommt immer wieder auf den Hunger zu sprechen, der uns fehlt. Das ist sein Themenschwerpunkt.

Der Verfasser, promovierter Gymnasiallehrer im Weserbergland, ist als Deutscher vom Jahrgang 1976 ein Eingeborener der Konsumgesellschaft, die uns alle ohne Unterschied mit dem Erstberuf des Kunden ausstattet. Die Konsumgesellschaft rühmt sich des Überflusses und des Wohlstands. Die Armut der satten, abhängig ernährten Kunden drückt sich in der Freude aus, keinen Hunger mehr zu kennen. Eilers teilt diese Freude nicht. Seine „Hungerrationen“ lassen ahnen, was uns mangelt, wenn das Leben als Rundum-sorglos-Paket konsumiert wird. „Solange einer hungert, weiß er, was ihm fehlt“, heißt es im Vorspruch von Thomas Niederreuther. Der im wunschlosen Unglück zufriedene Kunde weiß das nicht. Ihm fehlt nur das, was gerade im Angebot ist. „Der Wohlstand hat uns die Armut verdorben“, bedauert Ehlers auf S. 35. – Ist das Jammern auf hohem Niveau? Der Wohlstandsüberdruss eines ordentlich besoldeten Studienrats? Das wäre die Banalisierung einer tiefen Sorge; damit würde man dem Autor nicht gerecht.

„Die Askese beginnt, wo der Verzicht aufhört“ (S. 30) – und der Hunger anfängt, möchte man ergänzen, denn Verzicht ist Geiz im Umgang mit Vorhandenem, aber Hunger ist immer „Hunger auf etwas“, Name für Wünschens- und Begehrenswertes von menschheitsbeglückendem Umfang, fast zu groß, um je zu stillen zu sein. „Fernweh“ (S. 50) ist ein anderes Wort dafür.

Aber nicht allein der Hunger, der Hunger stillt und Hunger macht, wird verhandelt. Die Gattung des Killeraffen, der wir alle angehören, ist ein immerwährender Gegenstand der neueren Aphoristik. Nur der Mensch hat das Vermögen zur Unmenschlichkeit; ein Tier kann nicht untierlich sein. Erst die Unmenschlichkeit macht uns zu Menschen. (vgl. S.43) Welch ein Alleinstellungsmerkmal! Da tröstet doch die auf den ersten Blick düstere Aussicht: „Bevor es die Menschheit gibt, gibt es sie nicht mehr.“ (S. 44)
Auch die Gegenwart des Angriffskrieges auf die Ukraine findet im Buch seinen Kommentar, ohne dass der Autor den folgenden Satz ausdrücklich darauf bezieht: „Der Krieg zerstört mehr als er vernichtet.“ (S. 33) Wir erleben es derzeit jeden Tag am eigenen Leibe.

Wie auch den vorhergehenden Bänden, sind auch diesem Band „diverse Freundesgaben“ beigefügt. Das sind vier, fünf Aphorismen von Freunden und Bekannten, deren Namen man bereits kennt, wenn man die früheren Bücher des Verfassers kennt: Franz Hodjak, Ulrich Horstmann, Andreas Steffens, Elisabeth Turvold, Hans-Horst Skupy, Michael Rumpf. Neu hinzugekommen ist Hans Norbert Janowski. Jeder Band eine „Familienaufstellung“. Gibt es auch eine „Familienähnlichkeit“ unter den Texten? Zumindest so viel ist unübersehbar: Desillusion, der finstere Blick in die Zukunft. Selbst Wissen und Bildung, die Allzweckwaffen für ein besseres Morgen, fallen aus: „Wissen ist Ohnmacht“, lautet die Freundesgabe von Elisabeth Turvold auf Seite 68. Wer heute noch Optimist ist, dem ist nicht zu helfen. Das scheint Konsens zu sein.

Das ganze Büchlein ist ein gewitzigtes, mit schwarzer Tinte geschriebenes Lob der Kürze, die auch ein Ausdruck der Armut ist, wie sie Eilers versteht: Nur das Nötigste. Nicht mehr.

Klaus Hansen

 

zurück zur Übersicht der Rezensionen