zurück zur Übersicht der Rezensionen

 

Friedemann Spicker über:
Hans-Joachim Uthke: Die Schwerkraft des Wortes. Aphorismen, Notate und Zeichnungen. Düsseldorf: Edition Virgines 2022.

 

Dass Wort und Bild im Bereich des Aphorismus zusammenwirken, hat eine lange Tradition. Allein von Lichtenberg haben sich Künstler wie Horst Janssen, Robert Gernhardt, F. W. Bernstein, Fritz Fischer, Nikolaus Heidelbach und Hanns Erich Köhler zu zeichnerischen Antworten inspiriert gefühlt. Im Deutschen Aphorismus-Archiv sind neben echten Doppelbegabungen, die uns besonders verbunden sind, wie Andreas Steffens, Uri Christan Weber und Klaus Hansen, und neben Künstlern wie Zygmunt Januszewski, Pol Leurs und eben Hans-Joachim Uthke, die wir für unsere Publikationen immer wieder ansprechen konnten, auch Beispiele von Ingeborg Drews, Friedegard Schulte-Noelle oder Michael Geyersbach zu finden. Erste wissenschaftliche Beschäftigung mit solchen künstlerischen Manifestationen im intermedialen Bereich von Literatur und bildender Kunst in Form von Karikaturen und Aphorismen als Bildunterschrift, aphoristisch-philosophischer Bildkunst und Bild-Text-Kombinationen sind aus dem skandinavischen Sprachbereich bekannt i.

Hans-Joachim Uthke hat in rund 180 Gemeinschaftsausstellungen mitgewirkt und in 170 Einzelausstellungen seine Arbeiten im In- und Ausland präsentiert. Alle seine Arbeiten bezeugen ein besonders intensives Verhältnis zur Literatur. Literarische Zeichenserien zu Dantes „Inferno“, zu Wilhelm Busch, zu „Asiatischen Weisheiten“, zu Eugen Roth, Antoine de Saint-Exupéry („Der kleine Prinz“) und Heinrich Heine („Deutschland ein Wintermärchen“) entstanden. Seit 1991 hat er vermehrt speziell Arbeiten zu diversen Aphoristikern vorgestellt, so 2006 zu Stanislaw Jerzy Lec, 2014 zu Žarko Petan. In jüngerer Zeit kommen Arbeiten zu Aphorismen Lichtenbergs, Mark Twains, Ambrose Bierces und Kurt Tucholskys hinzu. Zu vielen Aphorismenbänden und seit 2004 zu Publikationen des Deutschen Aphorismus-Archivs hat er Illustrationen beigesteuert. Darüber hinaus ist er auch selbst als Aphoristiker hervorgetreten. So hat er sich an den diversen Aphorismenwettbewerben beteiligt und 2014 beim Thema „Größe im Kleinen“ einen der vorderen Plätze belegt.

Sein neuer Band „Die Schwerkraft des Wortes“ zeigt beide Seiten des Künstlers in charakteristischer Manier. Er versammelt aphoristische Texte zu den klassischen Themen von Sprache über Politik und Recht bis zu Freizeit. Alle herkömmlichen Formen der Gattung werden erprobt, allen voran die Definition, das Wörtlichnehmen, die sprichwörtliche Wendung, die Umkehrung, ob man da in einem „Geldstrom“ (S. 87) schwimmen möchte, Rechtswege (S. 77) beschreitet und Winkelzüge (S. 83) unternimmt oder den „Verkauf von Nebenwirkungen“ (S. 53) betreibt. Satire ist Trumpf. Was den Betrachter aber besonders anspricht, ist das Miteinander von Bild und Text: Kaum eine Doppelseite, die nicht durch diese Ausgewogenheit besonders lebendig würde. Wenn Uthke den Aphoristiker als „denkenden Sprachbildner“ (S. 14) definiert, dann hat er offensichtlich sich selbst vor Augen. Die rund 90 Zeichnungen sind keine Zugabe, keine Illustration wie so oft üblich, sondern mindestens gleichberechtigter Bestandteil des Ganzen. Das mitunter verletzend Spitze des Aphorismus, wie es immer schon in diversen Bildern des Stachels und des Splitters zum Ausdruck gekommen ist, setzt sich in der spitzen Feder fort. „Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt“, heißt es schlicht, nicht bei diesem phantastischen Wesen selbst, das als Beweis dient (S. 20f.), nicht bei dem dreiblättrigen Buch (S. 12f.), das man in nachdenkender Anschauung lange vergeblich umblättert. Was dem Künstler zeichnerisch zu Gebote steht, zeigt sich hier an seiner eindrucksvollen Porträtkunst, mit der er einen asketischen Melancholiker bildet (S. 48), dort bei einem mundlos Sprachlosen (S. 27) an der Meisterschaft des Striches. Die skurrilen Einfälle sind es, die im sprachlich-bildlichen Zusammenwirken dort besonders haften bleiben, wo nicht bebildert wird, sondern Text und Bild in besonderer Weise miteinander korrespondieren: der Totenschädel und der Raucher als „Frühbucher“ (S. 50), der plastikvermüllte Ozean (S. 110f.), der „Prinzipienreiter“ (S. 100). Wenn ich einen Wunsch frei hätte, so wäre es der nach einem Band des „best of“, der eine Auswahl von Uthkes künstlerischen Umsetzungen zeigen sollte, von Lichtenberg über Marie von Ebner-Eschenbach bis zu Lec und Elazar Benyoëtz.

 

i Annette Elisabeth Doll, Katharina Yngborn (Hg.): Skandinavische Aphoristik. Freiburg, Berlin, Wien: Rombach 2008, Kap. III „Aphorismen und Bildlichkeit“. Rez. Friedemann Spicker in: Lichtenberg-Jahrbuch 2012, S. 269-273.

 

zurück zur Übersicht der Rezensionen